Der wache Stern
Das Mädchen blickte mit unschuldigen Augen ihre Mutter an und fragte:
- Mama! Wann schläft denn mein Stern?
- Du sagst, dass jeder im Himmel einen Stern hat, der über seinem Kopf ist, nicht wahr?
- Du sagst, wenn ich schlafe, passt er auf mich auf, von dort oben sieht er mich an, oder nicht?
- Wohin geht er, wenn der Morgen kommt?
- Nicht, dass er kein zu Hause hat?
- Geht es nicht, dass wir ihn zu uns nach Hause holen, dass er hier leben kann? Damit er sich ausruhen kann! Der Arme ist wie mein lieber Papa die ganze Nacht wach.
- Mama! Mami! Ich bitte Dich, bringe ihn zu uns nach Hause, dass er morgen schlafen kann, der wird doch müde da oben im Himmel. Ich verspreche Dir, dass ich mit ihm nicht spiele, wenn er zu uns kommt. Ich setzte ihn zum Bild vom Papa auf das Regal. Hast Du nicht einmal gesagt, dass der Papa auch ein Stern geworden ist, in den Bilderrahmen hineingegangen ist und uns immer ansieht? Mein schöner Papa lacht mich immer vom Bild an, und wenn Du nicht da bist, dann sagt er zu mir 'Sei lieb zur Mama!' Ich gehe dann immer sofort zu ihm, um ihn zu küssen und verspreche danach, dass ich zu Mama lieb bin.
- Mama, warum kommt der Papa denn nicht aus Bilderrahmen heraus, damit er mit mir, wie der Papa von Susann, zur Rutsche geht?
- Bekommt mein Papa keine Langeweile? Der sieht uns doch die ganze Zeit an und sagt gar nichts.
- Wenn ich alleine zu ihm gehe, streichelt er mich. Und dass muss ich ihm versprechen, dass ich lieb bin. Und dann geht er wieder ins Bild auf dem Regal. Mama kannst Du ihm bitte mal sagen, dass er nicht zurückgehen soll, dass er bei mir bleiben soll? Ich will meinen Papa haben!
Die kleine Fati begann zu weinen und kam vom Dach hinab. Sie nahm das Bild von ihrem Papa vom Regal, küßte ihn und drückte das Bild an ihr Herz.
- Mein lieber Papa, komm doch mal aus dem Bild heraus. Komm und gehe nie mehr zurück in den Rahmen. Ist das okay, mein lieber Papa?
- Mein Töchterlein, ich bin doch immer bei Dir!
- Mein lieber Papa, warum möchtest Du immer im Bilderrahmen sein?
- Weil ich ein Stern bin.
- Mein lieber Papa, ich bin jetzt kein Kind mehr, ich weiß, dass der Stern im Himmel ist. Erst wenn er nicht mehr zu sehen ist, weiß man nicht, wohin er geht. Aber Du bist immer im Bilderrahmen. Hast Du kein zu Hause, dass Du in den Bilderrahmen gegangen bist? Ich brauche doch auch einen Papa! Gestern bin ich mit der Mama einkaufen gegangen. Als die böse Frau, die Mama und mich nicht mag, mich sah, schrie sie mich an. Meine Mama ist ganz sauer geworden und hat sich mit ihr gestritten. Als wir zu Hause ankamen, ging sie zu Dir, nahm Dich vom Regal, ging ins Gärtchen und weinte. Ich bin auch zu ihr gegangen und habe Dich von ihr weggenommen. Ich habe sie geküßt und aufs Dach mitgenommen, und habe ihr Dich im Himmel gezeigt. Die Mama lachte, nahm mich in den Arm, küßte mich und sagte zu mir, dass ich für sie die kleine Fati und der kleine Papa von Fati bin. Ich hab doch nicht verstanden, was sie damit meinte, aber ich weiß, wenn die Mama zu Dir kommt weint sie immer, bis ihre Augen ganz rot und dick sind. Warum kommst Du denn nicht aus dem Rahmen, wir sind müde geworden. Mein lieber Papa, komm doch raus.
Genau in diesem Moment öffnete die Mutter die Tür. Als die kleine Fati ihrer Mutter zeigen wollte, dass ihr Papa da ist, verschwand er im Bild. Fati hatte nur ihrer Mutter den Bilderrahmen gezeigt. Dann schrie sie sehr sauer: Er ist wieder ins Bild zurückgegangen!... Und danach sagte sie zu ihrer Mutter:
- Mama! Wenn Du hier hinkommst, geht der Papa ins Bild zurück. Nicht das er Angst vor Dir hat!
Die Mutter küßte ihre kleine Tochter und stellte das Bild auf das Regal zurück.
- Mama! Ist der Papa ein Stern?
- Ja, mein Schatz. Der Papa ist eine Stern geworden!
- Was macht er dann im Bild? Warum ist er nicht im Himmel?
- Der Papa ist deshalb im Bild, damit er mit Dir reden kann, wenn Du zu ihm kommst.
- Wann schläft er im Bild? Wo schläft er? Der arme Papa, nicht dass er krank wird!
- Meine liebe Tochter, Dein Papa ist immer wach, er ist ein Stern, der nie schläft. Dieser Stern ist immer wach. Immer wach.
Die Mutter nahm Fati auf ihren Schoß und sang mit kindlicher Stimme
Ihr lieber Papa ist ein Stern
ist ins Bild gegangen, aber trotzdem wach
wenn die Nacht vorüber ist, wenn die Sonne aufgeht
kikeriki, wird er wach
kommt er wieder nach Hause
das Herz des Sterns
in seinen Händen
bringt er die Freiheit mit
gibt er sie uns
der Fati und den Kindern
sagt er aufstehen, es ist Frühling
Frau Sonne ist wach
meinen Weg, den ich gegangen bin
geht die Fati auch
eins, zwei, drei, vier Eckstein
alles muss versteckt sein
die Sonne kommt noch einmal
und ihr Papa ist noch immer wach
Mama! Warum möchte der Papa die Freiheit mitbringen? Was ist überhaupt Freiheit? Wie schmeckt die denn? Kann er nicht ins Geschäft gehen und welche kaufen? Warum ist er in den Himmel gegangen, um sie zu holen? Er soll etwas Einfacheres holen, anstatt ins Bild zu gehen und in den Himmel. Ich brauche doch meinen Papa. Meine Freundinnen fragen mich immer, was mein Papa beruflich macht. Ich sage dann immer, dass mein Papa ein Stern im Himmel ist. Er ist dorthin gegangen, um die Freiheit zu holen. Anschließend lachen sie mich immer aus. Die Mutter ließ es nicht zu, dass Fati weitersprach. Obwohl die Mutter die Tränen der kleinen Fati nicht sehen wollte, sagte sie:
Mein liebes Herz, irgendwo im Himmel gibt es kleinen Garten voll der Sterne der guten Menschen. Sie helfen sich gegenseitig, Hand in Hand mit den anderen guten Menschen, damit sie uns die Freiheit bringen können. Wenn Du größer geworden bist, verstehst Du das hoffentlich selber. Ja, meine Liebe, Dein Papa ist ein Stern, der auf uns aufpaßt, er ist immer bei uns, er sagt uns, was wir machen sollen und was nicht.
Währen die Tränen der Mutter über das Gesicht liefen, nahm sie ihre Tochter mit aufs Dach und legte die Kleine auf ihren Platz.
Während die kleine Fati ihren Stern ansah, sah sie, wie ihr Papa sie in seinen Armen hielt und schlief unterdessen ein. Sie träumte von ihrem Papa, wie er ihr in einem großen Garten die Freiheit übergab, die er in seinen Armen hielt.
Als ihr Papa ihr ganz nah war, konnte Fati sehen, dass er etwas sehr Helles in seinem Arm trug. Er goß dieses Helle auf ihren Kopf. Die Helligkeit wurde immer mehr, so dass das ganze Haus voll davon war. Sie liefen auf die Strasse und auch die ganze Stadt...
Die Mutter konnte nicht vergessen, was diese andersdenkende, freche Frau gesagt hatte: „Morgen rechnen wir mit die Dir selbst und Deiner heuchlerischen Tochter ab!". Sie konnte wegen dieser Worte nicht schlafen. Während sie der kleinen Fati über den Kopf streichelte, flüsterte sie vor sich hin: „Ihr Papa ist ein Stern geworden, aber Fati ist wach!"