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Süddeutschezeitung 27.03

Abgestempelt

Mehr als 3000 iranische Volksmudschaheddin schweben in Lebensgefahr. Ihnen muss schnell geholfen werden. Von Horst Teltschik

 

Horst Teltschik, 72, war enger Berater von Bundeskanzler Helmut Kohl,an den Verhandlungen zur deutschen Einheit beteiligt, Vorsitzender der Quandt-Stiftung und bis 2008 Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz.

Dreitausendeinhundert Menschen, Frauen und Männer in akuter Lebensgefahr, warten seit Monaten darauf, dass die freie Welt sie aufnimmt. Dreihundert von ihnen wollen nach Deutschland. Es ist höchste Zeit, dass die Bundesregierung handelt. Es ist höchste Zeit, dass Politiker, die ständig von Menschenrechten, von Humanitätund Gerechtigkeit reden, ihren Worten Taten folgen lassen. Doch merkwürdige Stille herrscht in fast allen Parteien, selbst bei der Partei der Grünen, trotz ihrer iranischen Mitarbeiter, oder gerade deshalb?

 

Ja, es geht um Iraner; um 3100 Iraner, die im Irak im Exil leben, Mitglieder der iranischen Oppositionsbewegung, der Volksmudschaheddin (MEK). Sie gehören der Dachorganisation Nationaler Widerstandsrat Iran an. Ihre Mitglieder hatten bereits Widerstand gegen das autoritäre Schah-Regime geleistet – ja: auch gewaltsamen Widerstand. Viele ihrer Anführer wurden inhaftiert und hingerichtet. Nach dem Sturz des Schahs im Jahr 1979 richtete sich ihr Widerstand gegen die Diktatur der Mullahs, allen voran gegen Ayatollah Chomeini. Sein „Blutbrunnen“, getränkt vom Blut Zehntausender Opfer des neuen Terrorregimes, war berüchtigt. Erneut wurden die Mitglieder der MEK inhaftiert, gefoltert und hingerichtet. Sie wurden vom Regime auch in der internationalen Öffentlichkeit als Terrororganisation diffamiert.

Dass sie ihren Widerstand nicht mit Samthandschuhen betrieben haben, will niemandbestreiten. Die Liste der Anschuldigungen ist lang. Doch was davon ist Wahrheit und was diffamierende Propaganda des Mullah-Regimes? Prozesse vor Gerichten der Europäischen Union, in Frankreich und Großbritannien verfehlten ihr Ziel, die MEK als Terrororganisation einzustufen. Bis vor Kurzem stand die MEK auf der amerikanischen Liste der Terrororganisationen. Die damalige US-Außenministerin Hillary Clinton und eine Gruppe einflussreicher Senatoren veranlassten ihre Streichung.

Es geht nicht darum, dieTaten einer iranischen Widerstandsbewegung gegen das Schah-Regime und gegen die blutige Mullah-Diktatur zu bewerten oder gar zu rechtfertigen. Es geht im Augenblick um das Leben von 3100 Iranern, Mitglieder der MEK, die sich vor 25 Jahren in den Irak flüchteten. Sie hatten sich über die Jahre Wohnstätten im Camp Ashraf errichtet; nach der amerikanischen Intervention im Irak (2003) geschützt von US-Soldaten. Nach Abzug der amerikanischen Truppen übernahm die irakische Regierung die Verantwortung für das Camp. Seit dieser Zeit häuften sich die militärischen Übergriffe auf die unbewaffneten Bewohner des Camps. Fünfzig Bewohner fanden seitdem den Tod. Mehr als 1100 Frauen und Männer wurden verwundet. Viereinhalb Jahre wurde das Camp blockiert und mit 300 Lautsprechern unablässig beschallt.

Eine Rakete schlug im Lager ein,

Acht Menschen starben.

Die Gewalt dürfte weitergehen

Im vergangenen Jahr erzwang die irakische Regierung die Umsiedlung aller Bewohner in das ehemalige amerikanische Camp Liberty mit dem Versprechen, sie baldmöglichst ausreisen zu lassen. Sie mussten ihr Eigentum weitgehend zurücklassen. Die Lebensverhältnisse auf engstem Raum zwischen hohen Mauern haben sich dramatisch verschlechtert.

Die Mudschaheddin haben sich dieser Forderung gebeugt, weil ihnen zugesagt war, dass es sich nur um ein Übergangslager handelt. Im Camp Liberty sollten alle Iraner auf ihre Flüchtlingseigenschaft überprüft werden, um dann in aufnahmebereite Länder ausreisen zu können. Martin Kobler, Sonderbeauftragter für den Irak, hatte den Bewohnern und auch öffentlich versprochen, dass Camp Liberty den internationalen Standards entspreche und deshalb zumutbar und sicher sei.

Inzwischen gab es erneut einen blutigen Raketenanschlag auf Camp Liberty, das aus eng gesetzten Wohncontainern besteht. Acht Bewohner starben, unter ihnen drei, die von Deutschland aufgenommen werden sollten. Circa 100 Frauen und Männer wurden verwundet. Der Anschlag wurde von den UN, von der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton, von vielen Regierungenwie etwa der USA, Frankreichs, Italiens, Norwegens und Australiens auf das schärfste verurteilt. Dennoch sind weitere Anschläge zu befürchten. Die Regierung von Premier Nuri al-Maliki, politisch eng mit dem Mullah-Regime in Iran verbunden und für den Schutz des Lagers verantwortlich, scheint wenig dagegen zu haben, dass das Problem der Exiliraner auf diese Weise „bereinigt“ wird. Sie erklärte lapidar, sie könne nichts tun, um Raketenangriffe zu verhindern.

Es wäre deshalb höchste Zeit, dass der Hohe Kommissar der UN für Flüchtlinge Camp Liberty zu einem Flüchtlingslager erklärt und den Bewohnern internationalen Schutz gewährt. Es ist auch nicht verständlich, dass die Überprüfung des Flüchtlingsstatus der Bewohner sich angesichts der unabweisbaren Gefährdung monatelang hinzieht.

Noch einmal: Es gehtum das Leben von 3100 Frauen und Männern. Sie wollen in die USA und nach Europa. Dreihundert dieser vom Tod bedrohten Menschen suchen Zuflucht in Deutschland. Drei von ihnen sind bereits tot. Warum brauchen wir langwierige bürokratische Verfahren, monatelange Überprüfungen, um entscheiden zu können? Alle Betroffenen verfügen bereits über die Anerkennung als Asylberechtigte. Das galt auch für den schwerverletzten Abbas Djoohari, der seit 1996 über einen Asylberechtigtenausweis der Stadt Köln verfügte und dringend in Deutschland behandelt werden sollte. Er starb kürzlich, weil ihm ein Verlängerungsstempel oder eine Einreiseerlaubnis nach Deutschland von der deutschen Botschaft verweigert wurde. Das ist ein Skandal, der zum Himmel schreit. Es kann keine Frage von Kosten sein, weil fast alle Betroffenen Angehörige und Freunde in Deutschland haben, die sich ihrer annehmen würden.

Mitmenschlichkeit ist gefragt. Den von Massakern bedrohten Menschen nützen keine öffentlichen Erklärungen der Empörung, des Entsetzens über die Terrorakte, auch keine Hinweise auf die Verantwortlichkeit der irakischen Maliki-Regierung. Sie wollen frei sein, sie wollen sicher sein, sie wollen leben.

Und wenn sich der Bundesinnenminister und der Außenminister auf die erforderlichen Verfahren und Überprüfungen berufen und sich vor jeder Verantwortung zurückziehen, dann muss die Bundeskanzlerin entscheiden, weil es um das nackte Überleben von Menschen geht. Auch Exiliraner, selbst wenn sie im gewaltsamen Widerstand gegen erklärte Unrechtssysteme gekämpft haben – oder gerade deshalb –, haben Anspruch auf Humanität und sollten ihn gerade in einem Land wie Deutschland haben.

 

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