Irak wieder in der Chaosphase; die Amerikaner haben eine Diktatur hinterlassen
Die Wiener Zeitung schreibt am 20.12.2011:
Regierungschef Al-Maliki droht mit seinem Rücktritt - Haftbefehl gegen Vizepräsident Al-Hashimi
Irak droht nach US-Abzug Chaos
Bagdad. (rm/apa) Unmittelbar nach dem Abzug der US-Armee aus dem Irak brechen dort jetzt alte Konflikte innerhalb der Regierung wieder auf. Nur wenige Stunden, nachdem am Montagabend ein Haftbefehl gegen Vizepräsident Tarik al-Hashimi erlassen wurde, drohte Regierungschef Nuri al-Maliki am Dienstag mit seinem Rücktritt, um die Entlassung seines Stellvertreters Salih al-Mutlak zu erzwingen.
Al-Maliki will binnen zwei Tagen sein Amt niederlegen, wenn das Parlament seinem Stellvertreter nicht das Vertrauen entzieht. Der Streit zwischen Al-Maliki, der der Rechtsstaat-Allianz angehört und Al-Mutlak von der säkularen Allianz Al-Irakiya war in den letzten Tagen eskaliert, nachdem der Vizeregierungschef gesagt hatte, Al-Maliki sei ein schlimmerer Diktator als Saddam Hussein, der wenigstens die Infrastruktur des Landes verbessert habe.
Zuvor hatte bereits der Haftbefehl gegen den sunnitischen Vizepräsidenten Tarik al-Hashimi das mühsam ausverhandelte Machtteilungsabkommen zwischen Sunniten, Schiiten und Kurden in Frage gestellt. Al-Hashimi, der dem gleichen Parteienbündnis angehört wie Al-Mutlak, wird vorgeworfen, an einem versuchten Anschlag auf den Regierungschef Ende November beteiligt gewesen zu sein.
Der staatliche Sender Al-Irakiya strahlte angebliche Geständnisse ehemaliger Leibwächter des Vize-Präsidenten aus, die berichteten, Al-Hashimi habe sie im Jahr 2009 zu Terroranschlägen angestiftet. Ob die Ex-Leibwächter logen, die Wahrheit sagten oder durch Folter zur Falschaussage gezwungen wurden, war nicht zu erkennen.
Al-Hashimi war kurz vor der Bekanntgabe des Haftbefehls gegen ihn am Montag in die autonome Kurdenregion im Norden des Irak gereist, um dort Gespräche mit dem kurdischen Präsidenten Jalal Talibani und dem schiitischen Vizepräsidenten Khudair al-Khuzaie zu führen. Das richterliche Komitee, das den Haftbefehl gegen den Vizepräsidenten aussprach, erlegte Al-Hashimi auch ein Reiseverbot ins Ausland auf.
Präsident Talibani rief am Dienstag alle Parteivorsitzenden dazu auf, sich zu beherrschen und keine Krise zu provozieren.
Kurz nach der Bekanntgabe des Haftbefehls hatte das von Sunniten unterstützte Al-Irakiya-Bündnis, dem Hashimi angehört, beschlossen, die Regierungssitzungen zu boykottieren. Die Entscheidung sei getroffen worden, um zu verhindern, dass das Land in einer Katastrophe versinkt, falls die Diktatur Malikis weitergeht, sagte der irakische Vize-Ministerpräsident Salih al-Mutlak, ein führendes Mitglied von Al-Irakiya. Erst am Samstag hatte das Al-Irakiya-Bündnis beschlossen, die Parlamentsarbeit zu boykottieren. Al-Irakiya hatte die Regierungsführung von Ministerpräsident Maliki kritisiert und ihm vorgeworfen, andere Parteien zu ignorieren und die Justiz zu politisieren.
Für den deutschen Nahost-Experten Udo Steinbach Steinbach stellt die Situation keine Überraschung dar. Al-Maliki habe bereits in der Vergangenheit keine Bereitschaft gezeigt, mit den Sunniten zusammenzuarbeiten, sagte Steinbach im ORF-"Mittagsjournal". Er nütze nun offenbar den Abzug der Amerikaner, um durch eine Politik der kleinen Nadelstiche seine Position zu stärken und letztlich zur Alleinherrschaft auszubauen.
Umsiedlung aus Lager der VolksmudschahedinUnterdessen unterstützen die USA einen Plan der UNO für die Umsiedlung der rund 3400 Insassen des Ashraf-Lagers, das die irakische Regierung zum Jahresende schließen will. In dem Lager leben Flüchtlinge, die den oppositionellen iranischen Volksmudschahedin angehören. Das Ashraf- Lager wurde 1986 errichtet, nachdem Saddam Hussein Mitglieder der Volksmudschahedin zur Ansiedlung im Irak eingeladen hatte - mit dem Ziel, die iranische Regierung zu unterminieren, die sich zu diesem Zeitpunkt im Krieg mit dem Irak befand. Das Lager 60 Kilometer nordöstlich von Bagdad war zuletzt am 8. April 2011 von irakischen Sicherheitskräften angegriffen worden, wobei nahezu 50 Menschen getötet wurden