Der wachsende Wald

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Vor nicht allzu langer Zeit gab es einmal in einem nicht weit entfernten Land eine weite, vernichtende Wüste, wo Wasser und Gräser sich nicht trauten, sich zu zeigen. Wo der karge Boden übersät war von Knochenresten der Menschen und Tiere, die durch Durst und Hitze gestorben und durch die Glut der heißen Sonne zum Staub der Wüste verwandelt worden waren. Wo es nicht einen Schatten gab, nicht einmal für eine winzige Ameise. Nichts, keine Wolke der Welt, kein Vogel der Welt, nicht einmal eine leichte Morgenbrise wagte es sich in die Nähe des Gebietes.
Angst und Schrecken vor der grausamen Wüste. So konnte die Wüste weiterhin vernichten und absolut über die Landschaft herrschen.

Genau in der Mitte dieser Wüste der erschreckenden Macht und der Unbarmherzigkeit erstreckte sich ein wundervollertek_derakht

Baum. Der einzige Baum hatte es sehr schwer, denn wenn er wegen der erdrückenden Hitze und der brennenden Erde im Himmel Zuflucht suchte und darauf hoffte, dass eine kleine Wolke ihm etwas Schatten spendete, bekam er statt dessen den giftigen Rauch des Wüstenfeuers zu spüren. Und wenn er sich wünschte, dass der Wind ihm schützend eine frische Brise aus dem weiten Meere entgegenwehte, wurde er durch einen heftigen Sandsturm schwerst belästigt.

 

Bestimmt wundert man sich, wie ein einziger Baum dann unter solchen Bedingungen, mitten in dieser öden und vertrockneten Landschaft überleben konnte. Wie war seine Existenz in der heißen Erde der Wüste überhaupt möglich? Es war ein wahres Wunder, denn obwohl die Wüste keine Möglichkeit ausließ, um diesen Baum auszurotten, blieb er standhaft wie ein Fels in der Brandung! An einem Tag ließ die grausame Wüste ihn durch den stürmischen Wüstenwind mit seinen heißen Sandkörnern auspeitschen, an anderen Tagen schickte sie alle Schlangen und Insekten zu ihm, um ihn zu vernichten. Tatsächlich blieb der Baum aber hartnäckig weiterhin bestehen.wustei

Durch die Anwesenheit des Baumes konnte die Wüste ihre Macht nicht mehr allen glaubhaft machen.
Denn viele Menschen hatten keine Hoffnung mehr in dieser Landschaft und fürchteten sich vor der Größe und der Macht der Wüste. Als sie sich jedoch der Wüste näherten und mit den eigenen Augen diesen Baum, der wie ein Wunder in der Mitte dieser Trockenheit strahlte, sahen, wurde in ihnen der Glaube und die Hoffnung wieder geweckt, so dass sie ohne Angst die mächtige Wüste überqueren konnten. Es war so, als würde die unberechenbare Macht dieser erschreckenden Wüste gegenüber eines einzigen Baum zusammenbrechen. Aber die Mehrheit der Menschen glaubte nicht an die Existenz eines einsamen Baumes in mitten einer mörderischen, verkommenen Wüste oder sie hatte keine Lust und keine Kraft mehr, daran zu glauben. So wurden sie selbst Opfer der Grausamkeit. Die hinterlistige Wüste hatte sie zum Staub ihres eigenen Bodens verwandelt und sie zur Jagd auf andere ausgenutzt, um ihre unsterbliche Allmächtigkeit zu beweisen. Aber was sollte sie mit diesem Baum anstellen, der niemals aufgeben würde? Er war ihr ein Dorn im Auge und musste mit aller Macht verschwinden. Die Wüste konnte ja selbst nicht begreifen, wie so etwas möglich sein konnte, dass ein einziger Baum sich so lange durchkämpfen und am Leben bleiben konnte.
Sie stellte sogar ihr Boden dem tobsüchtigen Sturm zur Verfügung, damit er noch heftiger über das Land wüten konnte. Im Gegenzug musste er die Krone des Baumes mit heißestem Sand und trockenstem Staub angreifen.

Sie hatte sogar Blitz und Donner gebeten, sich über dem Baum auszutoben, um ihn endgültig zu verbrennen. Der Baum, obwohl schon sehr geschädigt durch den heftigen Sturm, schwer verletzt durch das Gewitter, hielt weiterhin mutig und hartnäckig durch. Es war einfach unglaublich und alle bewunderten ihn sehr.

So wurde allmählich allen klar, dass, wenn auch Sturm, Blitz und Donner sich mit der Wüste zusammentaten und all ihre Kräfte vereinten, um den einzigen Baum zu vernichten, dieser einfach unerschütterlich blieb.

Der Schmerz durch die Anwesenheit des Baumes im Herzen der Wüste wurde immer größer und größer, bis eines Tages die Wüste diese Situation einfach nicht mehr aushielt. Obwohl sie ihn immer verleugnet hatte, um ihre Glaubwürdigkeit an Macht und Grausamkeit zu bewahren, wendetet sie sich zum ersten Mal persönlich an den Baum und fragte ihn verzweifelt voller Wut: "Was willst du denn von mir? Warum verlässt du mich nicht? Was soll ich denn noch alles versuchen, um dich endlich loszuwerden?"

Der Baum antwortete ruhig und selbstsicher: "Das ist ganz einfach. Ich stehe hier als einzig übriggebliebener Baum aus jenem Wald, den du vor langer Zeit grausam niedergebrannt hast. Ich stehe hier als Vertreter der hunderttausend Bäume, die du brutal und erbarmungslos umgebracht hast. Und ich werde hier stehen bleiben, bis sich dieses ganze Gebiet wieder zurück in meinem herrlichen, grünen Wald verwandelt hat. Meine Anwesenheit bedeutet die Gegenwart meines Waldes."
Die Wüste wurde noch zorniger und brüllte aufgebracht: "Was? Bist du verrückt geworden? Du willst aus MIR einen Wald entstehen lassen? Weißt du überhaupt mit wem du es hier zu tun hast? Ich bin so unendlich und allmächtig, dass sich kein Volk auf dieser Welt in meiner Nähe traut! Du hast selbst meine erdrückende Hitze und meinen tödlichen Sand am eigenen Leib gespürt. Und jetzt willst du erbärmlicher Baum mir erzählen, dass hier ein Wald wachsen soll? Ha! Ich werde dir das Leben zur Hölle machen, so dass du angekrochen kommst und mich um Verzeihung anflehst! Du wirst dir noch den Tod WÜNSCHEN!" Der Baum lachte nur und sagte spöttisch: "Siehst du, genau das ist das Geheimnis, das du niemals verstehen wirst." "Was meinst du damit?" fragte die Wüste. "Das ist das Geheimnis des Seins. Schau, du versuchst seit Jahren alles, um mich zu vernichten. Tausende Male hast du gedacht, du hättest endlich dein Ziel erreicht, aber als die Schlacht zu Ende war, und der Staub sich gesetzt hatte, war ich immer noch da, wie am ersten Tag. Und weißt du warum?" "Nein," antwortete die Wüste, "das ist ja genau das, was ich nicht verstehe!"
Der Baum lachte bitter: "Und das wirst du in deinem kalten, schwarzen Herzen auch bis zum letzten Atemzug nicht verstehen! Solange es mich hier gibt, gehört dieses Land dem Wald und das bedeutet gleichzeitig deinen Tod. Und genau das ist das Geheimnis meiner Existenz, meines ganzen Daseins und die Hoffnung für ein Wiedererwachen eines unendlichen Waldes."

So vergingen weitere Tage und Nächte, Wochen, Monate und Jahre. Die Wüste hatte, wie gedroht, ihre Angriffe verstärkt. Der tapfere Baum hatte immer mehr seine Zweige und Äste verloren und doch stand er furchtlos und todesmutig an seinem Platz und überlebte all die grausamen Folterungen.

Eines Tages wagte sich eine tapfere Wolke, die von diesem heldenhaften Baum schon viel gehört hatte, und ihn unbedingt mit eigenen Augen sehen wollte, in seine Nähe. Als sie ihn mit größter Mühe und Not erreicht hatte war nur noch eine handvolle Größe von ihr übriggeblieben, doch dies spendete dem Baum einen lang ersehnten, kleinen Tropfen. Diese Nachricht verbreitete sich so schnell, dass nun einzelne Wolken diesen Schritt zur Aufopferung wagten. Mit der Zeit sammelten sich immer mehr Wolken und aus kleinen Tropfen entstand bald ein herrlicher Regen. Dies war der Beginn des Sterbens der Wüste. Denn nun kamen nicht nur Wolken, sondern auch Vögel, Schmetterlinge und die ersten zarten Pflanzen fingen an zu wachsen, und alles begann zu blühen und zu gedeihen.

Wenn man nun heute auf diesen wunderschönen, lebendigen Wald blickt, ist jener einsamer Baum mitten unter den Millionen anderen prachtvollen Bäumen nicht mehr zu erkennen. Es ist nicht zu glauben, dass dort einmal eine schreckliche Wüste geherrscht hat und den Kampf gegen eines einzigen Baumes verloren hat.

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